“Du warst lange fort”, meint die Königin sanft, den Blick in die Ferne gerichtet. Sie gibt mir niemals das Gefühl, ihr zu etwas verpflichtet zu sein, niemals auch nur einen Hauch zuviel der Nähe. Und dennoch glaube ich einen leicht vorwurfsvollen Unterton in ihren Worten zu vernehmen. Silbrig spielt ihr langes Haar um die schmalen, dunkel verhüllten Schultern, ein stetiger, sachter Windstoß lässt sie nicht zur Ruhe kommen. “Trotzdem habe ich nie daran gezweifelt, dass du zurück kommst.”
Ich versuche angestrengt auszumachen, was sie wohl dort am Horizont sieht, was ihre Aufmerksamkeit wohl so sehr zu fesseln vermag, dass das Gefühl der trauten Zweisamkeit zwischen uns dieses Mal vollkommen ausbleibt. Ein wenig schmerzt es mich zwar, doch zieht dieser Schmerz schnell vorüber, wie ein flüchtiger Besucher; wie so viele vor ihm, seit ich wieder ganz bin. “Ich weiß nicht einmal genau, warum …”, antworte ich und wende mich ab, grabe wie früher die nackten Zehen in den nachtkühlen Sand und beobachte mich dabei. “Es fällt mir nicht leicht loszulassen, da ist so vieles, was mir lieb ist. Ich trauere um das Vergangene, obwohl ich ganz genau weiß, dass nur das Jetzt wirklich zählt … Dass es echt ist und früher vieles nur Lüge war. Ich habe es nicht besser gewusst.” Plötzlich steckt mir ein dicker Kloß im Hals und schnürt mir die Luft ab, treibt mir die Tränen in die Augen und ich schäme mich für meine Schwäche. Es gäbe noch so viel zu sagen, ihr muss ich es doch erklären, wenigstens ihr! Doch ich bringe kein Wort hervor, wehre mich wütend gegen das Selbstmitleid.
Eine Hand legt sich auf meinen Arm, kalt ist sie, wie das Meer im Winter, und dennoch ist da endlich etwas Vertrautes in der Berührung. Sie schweigt und ich weiß, dass dieses Schweigen absolutes Verständnis bedeutet — ich kenne sie, doch sie kennt mich besser. Ich schlucke die Tränen herunter und lege die eigene Hand auf jene schmale, kalte, welche so zerbrechlich ist, dass ich sie kaum zu berühren wage. “Ich bin zuhause angekommen und kann es kaum ertragen. Was ich jetzt lebe, das habe ich immer nur geträumt, geschrieben, es waren Geschichten!” Ich halte kurz inne, um mich zur Ruhe zu zwingen, ehe meine Stimme verräterisch zittert. Sie wird mich trotzdem durchschauen. Ich kann nicht anders, obwohl ich genau weiß, dass es vergebens ist. “Ich habe niemals wirklich daran geglaubt.”
Sie umarmt mich einfach, wortlos, so, als hätten wir alle Zeit der Welt, schweigt lange, haucht nur kalten Atem in mein wirres Haar. “Lass es einfach zu, lass es geschehen. Glaube daran, denn es ist Realität. Hör auf zu zweifeln, nur, weil du denkst, dass du dein Glück nicht verdienst. Lass los. Dir kann nichts passieren, du bist wohlbehütet und geliebt.”
Ich weiß nichts darauf zu sagen, bin tief getroffen und fühle mich gläsern wie immer unter ihrem Blick. Wir stehen lange schweigend im Mondlicht, innig umarmt wie ein Liebespaar und vermögen uns doch nicht mehr gegenseitig zu wärmen.
//20.05.2010, re-mastered 2015