Schon die erste Berührung von ihm riss mich augenblicklich aus der Vergangenheit und dem wirren angstvollen Konstrukt heraus, in das ich mich geflüchtet hatte und beförderte mich sanft aber unnachgiebig sofort zurück ins Hier und Jetzt. Mit einem Mal war die Kälte, die Angst und Unsicherheit wieder dieser alles umfangenden Wärme gewichen; war der Wolf ganz nah und alles andere als ein irres Hirngespinst. Für meine innere Wölfin war die Wahrheit, die hinter dieser Berührung steckte, das Einzige, was zählte. Sie dachte nicht nach, hing nicht in vergangenen Schrecken fest, fühlte weder Selbstverachtung, noch die Schmerzen und die Demütigungen, die schon längst hinter ihr lagen. Die Verbindung zu ihrem Alpha war jetzt greifbar, sie war ein unsichtbares und unwiderrufliches Band, intimer als jedes Wort, jeder Kuss, jede Umarmung. Und beständig. Sie war ein Band, das mehr ihrer und seiner Natur entsprach als es jede Distanz, jeder Zweifel, jede furchtsame Leugnung, die der Verstand mir einzureden versuchte, je sein könnte. Was Clay in mir hervorrief, waren Mut und Stärke, waren Wildheit und Treue, war eine Ergebenheit, die nichts mit Erniedrigung zu tun hatte, sondern mein wahres Wesen auf diese sanfte, unerschütterliche Weise ansprach, wie es nur der Alpha konnte. Er war hartnäckig, wie er mich in seine Arme zog, mich so lange festhielt, bis seine innere Ruhe und Zuversicht mich wie ein wärmender Strom füllte, meine Tränen versiegen und meinen Puls sowie meine Atmung ruhiger werden ließ. Jetzt konnte ich vergessen, für die Dauer langer Momente, Minuten, Stunden; ich wusste nicht, wie viel Zeit verging, bis er mich zurück zu der Liege trug. Und ich konnte einfach zulassen, was zwischen uns war, ohne es auch nur einen Augenblick lang erneut in Frage zu stellen, ja, sogar ohne zu versuchen, es zu verstehen.
Schließlich war es sein Blick, waren es seine Hände, die mich festhielten, und der unerschütterliche Strom seiner Liebe, der mein Innerstes ausfüllte; mit ihrer puren Intensität jegliche Möglichkeit einer anderen Empfindung als diese aus vollem Herzen zu erwidern, einfach zurück drängte. Und die Wölfin in mir wollte nichts sehnlicher, als geweckt werden, aus dem Gefängnis ihrer menschlichen Gestalt befreit werden; mit ihm an ihrer Seite das Geschehene für immer hinter sich lassen. Mein ganzes Leben lang war mir eingeprügelt worden, dass ich nichts wert war, und doch hatte ich immer wieder einen Weg gefunden, wenigstens mir selbst zu beweisen, dass das nicht stimmte. Ich hatte mich aus meinen Fesseln befreit, auch wenn diese Freiheit immer nur vorübergehend war; hatte hart und still und heimlich darum gekämpft, mir die Lust am Leben zu bewahren. Und es war mir gelungen, entgegen aller Widrigkeiten. Bis zu diesem heutigen Tag. Bis zu dem Punkt, an dem mein Lebenswille eingebrochen war. Clay entfachte ihn, entfachte ihn neu, als er meine Hand auf sein Herz legte. Ich konnte es spüren, deutlicher und kräftiger denn je, wie es für mich schlug. „Ich habe mich nie wie eine von ihnen gefühlt …“, flüsterte ich, als sich meine Finger an seiner Brust zusammen zogen und sich über seinem Herzen in sein Hemd vergruben. „Vielleicht war und bin ich genauso wenig Mensch, wie du es bist, Clay … Die Wölfin war mir immer so viel näher … Sie … sie war es, die mir den Überlebenswillen gab; die Kraft immer weiter zu kämpfen. Ich … ich habe nie dazugehört, und dennoch fühlte ich mich immer mitschuldig für die Taten, für die sie Allahs Namen missbrauchten …“ Plötzlich zitterte ich, runzelte von einem furchtsamen Beben erfasst die Stirn und senkte meine Lider. „Hast du … es gesehen? Ich meine, hast du es … mitangesehen?“ Es verstrichen ein paar bange Momente, in denen ich seiner Antwort harrte. Dann biss ich mir leicht auf die Unterlippe, ließ kurz die Zungenspitze folgen, als ich den Blick hob und ihn vertrauensvoll in seinen legte. „Wird das von jetzt an immer so sein? Werde ich … dich immer in mir spüren?“ Ich erinnerte mich daran, dass er gesagt hatte, er hätte mein Leben an sich gebunden. Das machte mir Angst, vor allem, weil ich die volle Bedeutung dessen noch nicht annähernd verstand. Ich hatte nicht die geringste Ahnung davon, was für ein Wesen da wirklich in ihm wohnte und was dieser Mitternachtsstamm genau war, von dem er sprach. Aber eines wusste ich in diesem Moment mit unerschütterlicher Gewissheit: Dass ich ihm folgen wollte, egal wohin. Ich wollte ihm meine Liebe und meine Hingabe schenken und ihm folgen, weil er das einzige Zuhause war, das ich hatte. Ich wollte fort aus der Welt der Menschen, die mir immer so fremd gewesen war. „Ich will bei dir sein.“ Es war nur ein Hauchen, das über meine Lippen floss, als ich Stirn und Nase an seine lehnte. „Ich will vergessen … und ich will bei dir sein. Auf dieselbe Weise, wie du bei mir bist.“