Ethan: Geliebter Feind

In diesem Moment ver­achtete ich ihn. Ich ver­achtete Noah dafür, dass er meinem Schlag nicht auswich, obwohl ich ganz genau wusste, dass er es lock­er gekon­nt hätte. Und am meis­ten Ver­ach­tung emp­fand ich dafür, dass er ihn ein­fach hin­nahm, ohne ein Wort, und ohne auch nur Anstal­ten zu machen, sich zur Wehr zu set­zen. Nein, das hier war nicht der Noah, den ich kan­nte. Ich kon­nte sehen, riechen, fühlen, wie er inner­lich kurz vor der Explo­sion stand und sich trotz­dem zurück­hielt, und ich kon­nte nicht anders, als ihn dafür zu ver­acht­en. Zumin­d­est … bis zu dem Moment, den ich nun ganz und gar nicht kom­men sah, so wut­sprühend wie ich ihm all meine Ver­ach­tung in Worten ent­ge­gen spuck­te. Er sprang mich an wie ein ent­fes­sel­ter Berserk­er; ich hat­te keine Chance, über­haupt zu reagieren oder auch nur über­rascht zu sein, don­nerte unter seinem brachialen Angriff mit Schwung auf den vereis­ten, von ein­er dün­nen Schneeschicht bedeck­ten Boden, dass zu allen Seit­en gefrorene Eiskristalle auf­s­to­ben. Bevor ich wusste, wie mir geschah, schlug seine Faust so dicht neben meinem Gesicht ein, dass ich den Luftzug wie einen Messer­schnitt an mein­er Wange spüren konnte.

Mir blieb für einen Moment die Luft weg, weshalb ich mich wed­er regen, noch dem irren Lachen nachgeben kon­nte, das mir plöt­zlich in die Kehle stieg. Heilige Scheiße … Ich hat­te mich schon so daran gewöh­nt, die Dinge mit meinen Fäusten zu klären, dass es fast eine Erle­ichterung war. Sollte er doch zuschla­gen, sollte er mir doch Gründe liefern, zurück­zuschla­gen, denn das war ver­dammt nochmal etwas, wom­it ich bestens umge­hen kon­nte! Ganz im Gegen­satz zu den um Wel­ten härteren Schlä­gen, die er jet­zt mit Worten austeilte. Das … das war etwas, wom­it ich über­haupt nicht klar kam; das war etwas, was wirk­lich wehtat und was ich nicht ein­fach mit meinem Kör­p­er und zusam­menge­bis­se­nen Zäh­nen abfan­gen kon­nte. Und ich ver­stand … Mit einem Mal ver­stand ich jede einzelne Silbe, jedes Funkeln von Wut in Noahs Augen, jedes müh­sam unter­drück­te Beben von Schmerz in sein­er Stimme. Hätte er mit einem Mess­er in meinen Eingewei­den gewühlt, es hätte nicht ver­nich­t­en­der sein kön­nen. Ich war mir so … so ver­flucht sich­er gewe­sen, dass ich bere­it war, bere­it, jet­zt endlich hinzuse­hen, mir das Leid anzuse­hen, das ich ver­schuldete, nach­dem ich mehr als ein halbes Jahrhun­dert lang die Augen davor ver­schlossen hat­te. Aber ich war es nicht; wäre ver­mut­lich niemals bere­it dafür gewe­sen. Wir bei­de wussten, wie Recht er mit dem hat­te, was er mir an den Kopf warf – und wir bei­de wussten, dass die Wut, die er damit immer noch mehr in mir schürte, in Wahrheit mir selb­st galt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert